lieben sie kinder mehr, als ihnen lieb ist?
Mit dieser Frage startete 2005 eine Kampagne, die auf ein besonderes Therapieangebot des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin aufmerksam machte: ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und deshalb therapeutische Hilfe suchen. Das Projekt gab es unter dem Titel „Präventionsprojekt Dunkelfeld“ zunächst nur in Berlin. Mittlerweile ist Berlin nur noch einer von vielen Standorten des 2011 gegründeten Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“, das nach gemeinsamen Qualitätsstandards arbeitet und von einem Beirat unterstützt wird. Dem Beirat gehören auch Experten der Forensisch Psychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, sowie des «forio» an, die dort vergleichbare Präventionskonzepte entwickelt haben.
Gestützt auf die Postulate von Nationalrätin Natalie Rickli und Ständerat Daniel Jositsch vom 12. September 2016 wurde vom Schweizer Bundesrat ein Forschungsauftrag zur Erarbeitung der Grundlagen zur Wirkung von Präventionsprojekten für Personen mit sexuellen Interessen an Kindern erteilt. Am 11. September 2020 verabschiedete der Schweizer Bundesrat den Bericht «Präventionsangebote für Personen mit sexuellen Interessen an Kindern» und empfahl sprachregionale Beratungs- und Behandlungsangebote für Personen mit sexuellen Interessen an Kindern, die Prüfung einer verstärkten Thematisierung von pädophilen und hebephilen Neigungen bzw. Störungen, der Stigmatisierung der Betroffenen sowie der Prävention von sexuellen Handlungen mit Kindern in der Weiter- und Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten sowie Psychologinnen und Psychologen sowie eine gesamtschweizerische Koordination der Präventionsangebote.
Auf Initiative der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich unter Regierungsrätin Natalie Rickli wurde im Juni 2021 das erste kantonal geförderte Behandlungsangebot in der Schweiz lanciert, die Präventionsstelle Pädosexualität an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Im Sinne der vom Bundesrat empfohlenen gesamtschweizerischen Koordination der einzelnen Beratungs- und Behandlungsstandorte erfolgte im Juni 2021 die Vereinsgründung „Kein Täter Werden Suisse“ mit den Gründungsmitgliedern Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, forio Frauenfeld, Hôpitaux Universitaires de Genève und der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, begehen nicht zwangsläufig sexuelle Übergriffe oder nutzen Abbildungen sexuellen Kindesmissbrauchs (sog. Kinderpornografie). Daher müssen die Begriffe Pädophilie/Hebephilie und sexueller Kindesmissbrauch unterschieden werden. Während die strafrechtliche Bezeichnung ‚Sexueller Missbrauch von Kindern‘ vorranging sexuelle Handlungen vor, an und mit Kindern beschreibt, wird unter Pädophilie/Hebephilie eine sexuelle Ansprechbarkeit auf den kindlichen beziehungsweise jugendlichen Körper verstanden. Nicht jeder Mensch mit einer Pädophilie oder Hebephilie begeht sexuellen Kindesmissbrauch und nicht jeder Sexualstraftäter ist pädophil oder hebephil.
Die Häufigkeit der Pädophilie bzw. pädophilen Störung in der Allgemeinbevölkerung ist unbekannt (Cohen & Galynker, 2002; Seto, 2008). In aktuellen sexualwissenschaftlichen Untersuchungen an männlichen Probanden aus der Allgemeinbevölkerung gaben zwischen 4.1% – 9.5% der Befragten an, schon einmal sexuelle Fantasien mit Kindern gehabt zu haben. Zwischen 3.2% – 3.8% der Befragten berichteten sogar von sexuellem Verhalten mit Kindern (Ahlers et al., 2011; Dombert et al., 2015, siehe hierzu auch die Ergebnisse der Mikado-Studie). Da jedoch in vielen Studien die Intensität und Dauerhaftigkeit dieser sexuellen Fantasien/Verhaltensweisen nicht untersucht wurde, lässt sich daraus nur schwer das Vorkommen von pädophilen Neigungen im Sinne einer klinisch diagnostizierbaren Pädophilie in der Bevölkerung schätzen. Die Häufigkeit wird – bislang erhobenen Daten zufolge – auf bis zu 1% der männlichen Bevölkerung geschätzt (Beier et al., 2005; Dombert et al., 2015). Für eine gesicherte Diagnose ist jedoch ein ausführliches klinisches Interview notwendig. Eine Pädophilie wird fast ausschließlich bei Männern diagnostiziert, betroffene Frauen zeigen sich wenig. Über die Häufigkeit einer pädophilen Präferenz bei Frauen gibt es daher derzeit keine gesicherten Erkenntnisse. In einigen wenigen Veröffentlichungen zu diesem Thema wird davon ausgegangen, dass es sich um Einzelfälle handelt (Bundschuh, 2001; Schorsch, 1985).
Die Mehrzahl der Maßnahmen zur Vorbeugung sexueller Übergriffe auf Kinder bestehen aus pädagogischen Kampagnen und Angeboten für potenzielle Opfer (Kinder), Erzieher und Eltern.
Sexuelles Verlangen nach Kindern und/oder Jugendlichen kann einem sexuellen Missbrauch vorausgehen. Darüber ist aus der Forschung und aus der klinischen Arbeit bekannt, dass viele Menschen, die sich sexuell zu Kindern oder Jugendlichen hingezogen fühlen, unter ihrer sexuellen Präferenz und deren gesellschaftlicher Stigmatisierung leiden und sich deshalb Hilfe wünschen. Ziel muss es deshalb sein, therapeutische Präventionsmaßnahmen zu etablieren, die im Dunkelfeld greifen, betroffenen Menschen beim Umgang mit ihrer sexuellen Ausrichtung helfen und darüber hinaus wirksam werden, bevor es zu sexuellen Übergriffen und/oder der Nutzung von Missbrauchsabbildungen im Internet (sog. Kinderpornografie) kommt.
Genau hier setzt das Angebot des Präventionsnetzwerkes an und bietet Menschen, die eine sexuelle Erregbarkeit durch Kinder oder Jugendliche verspüren und/oder Missbrauchsabbildungen konsumieren und aus diesem Grund therapeutische Hilfe suchen, eine kostenlose Behandlung unter Schweigepflicht an.
Der klinischen Erfahrung nach leiden viele der betroffenen Menschen unter ihren sexuellen Impulsen und suchen eigenmotiviert therapeutische Hilfe. Oftmals fehlt es jedoch an qualifizierten Angeboten, da es diesbezüglich nur sehr wenige qualifizierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gibt. Eine Therapie, wie sie von den Netzwerkpartnern angeboten wird, will den betroffenen Menschen Unterstützung im Umgang mit ihrer Sexualität bieten.
Aus einem Präventions